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Rede zum Volkstrauertag

Mit Fotos von Franz Thoma

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

am 23. August 1942 - und damit vor 75 Jahren - begann die Schlacht von Stalingrad, dem heutigen Wolgograd. Hierzu ist in einem Beitrag von Jörg Raab in den vom Volksbund deutscher Kriegsgräberfürsorge e.V. herausgegebenen Gedanken zum diesjährigen Volkstrauertag folgendes nachzulesen: „Am 22. November schloss sich der Ring der Sowjetarmee um die 6. Armee unter General Paulus. 300.000 deutsche, italienische, ungarische und rumänische Soldaten wurden eingeschlossen. Mangelnde Versorgung, Hunger, anhaltende Schneestürme und Kälte bis 35 Grad unter Null ließen die Zahl der Opfer rasch ansteigen.“

Der Pfarrer und Arzt Dr. Kurt Reuber, geboren 1906 in Kassel, schreibt wenige Tage zuvor an seine Frau: „Kaum eine irdische Hoffnung mehr, den sicheren Tod vor Augen oder ein Schrecken ohne Ende in der Gefangenschaft, irgendwo im Raum aller Unbarmherzigkeiten. Anfängliche Hoffnung hat sich zerschlagen. Wir haben uns tief in die Erde eingegraben, die wir so unendlich lieben. Alles andere weiß ich im ewigen Schicksalswillen eingeschlossen. Du ahnst nicht, was diese dunkelste Zeit für ein Menschenleben bedeutet!“

Diese „dunkelste Zeit“ und damit der Zweite Weltkrieg mit seinen unfassbaren Grausamkeiten kostete nach allgemeinen Schätzungen mindestens 55 Millionen Menschen das Leben, die meisten unter ihnen waren Zivilisten.

Ein ebenfalls in Jörg Raabs Abhandlung überlieferter „Funkspruch aus Stalingrad“ vom 21. Januar 1943 lautete: „Truppe ohne Munition und Verpflegung, Auflösungserscheinungen an der Süd-, Nord- und Westfront. 18.000 Verwundete ohne Mindesthilfe an Verbandszeug und Medikamenten.“

Und weiter heißt es bei Jörg Raab: „Am 2. Februar 1943 ist dort alles zu Ende. Die Vernichtung der 6. Armee gilt als einer der Wendepunkte des Zweiten Weltkrieges. Der Name der Stadt an der Wolga, das Leiden der Soldaten und der in der Stadt verbliebenen Zivilbevölkerung sind bis heute im kollektiven Gedächtnis der beteiligten Nationen verankert. Weit über 500.000 Menschen sind ums Leben gekommen.“ Insgesamt kamen im Zweiten Weltkrieg über 55 Millionen Menschen ums Leben. Die Sowjetunion hatte mehr als 26 Millionen Opfer zu beklagen, auf deutscher Seite waren es zwischen 6,3 Millionen Opfer und über 7 Millionen Tote.

„Endlos lang ist die Kolonne der gefangenen Wehrmachtssoldaten.“ Auch darauf weist der Beitrag hin. Und tatsächlich: Allein die Zahl der deutschen Kriegsgefangenen wird in einem Bericht der Online-Ausgabe der ZEIT vom 9. Mai 2015 mit rund 11 Millionen angeben. Zu den Gefangenen und Überlebenden auf deutscher und seinerzeit sowjetischer Seite heißt es hierzu: „Aus sowjetischen Lagern kehrten nur 2 von 3,3 Millionen Deutsche zurück, die letzten 1956. Von den etwa 5,7 Millionen Rotarmisten überlebten 3,3 Millionen die deutsche Gefangenschaft nicht.“

Meine geschätzten Damen und Herren,

auch angesichts dieser Schicksale ist unser alljährliches Erinnern an diesem Tag und die damit verbundene Gedenkstunde, zu der ich Sie alle herzlich begrüße, so wichtig.

Mein besonderer Gruß gilt allen Vertreterinnen und Vertreter der Ortsvereine mit ihren Fahnenabordnungen, den Vertretern unserer Feuerwehr, des Reservistenverbandes und des VdK und ich heiße ebenso herzlich willkommen, diejenigen, die unser Gedenken musikalisch mitgestalten: Die Kolpingkapelle Alzenau sowie den Gesangverein Liederkranz.

Überall in unserem Land kommen am Volkstrauertag Menschen zusammen, um innezuhalten, um an die Opfer der beiden von unserem Land ausgehenden Weltkriege zu erinnern und ihrer in Ehren zu gedenken. Sie alle wollen wir mit unserem alljährlichen Gedenken ins Leben zurückholen, insbesondere auch die Kriegsopfer aus unserer Stadt. In unsere Erinnerung und unser Gedenken schließen wir auch mit ein: Alle, die bis heute an den Folgen dieser verheerenden Kriege leiden sowie alle, die bis heute Opfer geworden sind von Krieg, Gewaltherrschaft und Terror - von Terror, der immer wieder und überall auf der Welt ausgehend von islamistischen Extremisten auf brutale und hinterhältige Weise zuschlägt und auch in unserem Land bereits zahlreiche Opfer gefordert hat. „Auch diese Toten“, um es mit Jörg Raab auszudrücken, und damit die Opfer von Terror, „verpflichten uns Lebende, dem Hass zwischen Völkern, Rassen und Religionen entgegenzutreten und uns aktiv für unsere Werte einzusetzen.“

Für Werte, die uns verbinden, die das friedliche Zusammenleben bei uns ausmachen und noch heute vielfach auf der Welt mit Füßen getreten werden und für die Menschen, die für sie eintreten, auch im Jahr 2017 noch verhaftet, eingesperrt und vielerorts sogar ermordet werden. Während des barbarischen Nazi-Regimes wurden über sechs Millionen Juden in Deutschland und Europa von den Nazi-Schlächtern ermordet, darunter auch ehemalige jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger aus unserer Stadt. Sie alle und all ihre Familien schließen wir in unser heutiges Gedenken mit ein, erinnern an ihr nicht in Worte fassbares Schicksal und zeigen damit zugleich Flagge gegen jegliche Form von Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, der bzw. die auch in unserem Land noch vielfach um sich greift in Worten wie in Taten - ein menschenverachtendes Verhalten, das es immer wieder auf das Schärfste zu verurteilen gilt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

angesichts der Krisen und der gewaltsamen Auseinandersetzungen, angesichts der grausamen Kriege und verheerenden Terroranschläge unserer Zeit, die uns jeden Tag über die Medien vor Augen geführt werden, ist unser alljährliches Gedenken am heutigen Volkstrauertag nicht nur so wichtig, sondern unverzichtbar. Es hat sich nicht überlebt, und es wird - leider - auch immer zeitgemäß bleiben, denn eine Welt ohne Krieg, Gewalt und Terror wird es, wenn überhaupt, nur im Traum geben. Die Menschheit mordet unerschrocken weiter. Und das alles ungeachtet der unbeschreiblichen Schrecken aus der Vergangenheit, aus der wir die Lehren gezogen haben und der wir uns auch mit unserem jährlichen Gedenken immer wieder stellen.

Meine geschätzten Damen und Herren,

der Volkstrauertag und unser damit verbundenes Gedenken ist für uns auch immer wieder Mahnung zum Frieden verbunden mit dem klaren Auftrag an uns alle sowie an die uns nachfolgenden Generationen, immer wieder im Großen und Kleinen, und im Rahmen unserer Möglichkeiten für einen dauerhaften Frieden und damit zugleich gegen das Vergessen der Gräuel der damaligen Zeit einzutreten, damit sich derartiges niemals mehr wiederholen kann und wir auch künftig in Frieden und Freiheit, in Sicherheit und Wohlstand leben können. Ein solcher Tag ist also auch ein guter Anlass, um sich zurückzubesinnen auf die Werte, die unser Zusammenleben ausmachen. Nämlich ein gutes Miteinander, Frieden, Freiheit und Sicherheit. All der Wohlstand, den wir schätzen, ist nichts wert, würden wir nicht in Frieden, Freiheit und Sicherheit leben können. Auch daran mögen wir an diesem Tag erinnern. Auch an das Glück, in Frieden leben zu dürfen - ohne Krieg, der an vielen Orten auf der Welt noch immer an der Tagesordnung ist.

„Seit 1945 sind in über 200 Kriegen und Bürgerkriegen weitere Millionen von Toten zu beklagen und täglich werden es mehr. Das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung zählte allein für 2016 weltweit 226 gewaltsam ausgetragene Konflikte: Syrien, Irak, Sudan, Mali, Ukraine… Kriegerische Auseinandersetzungen, die mit unendlichem menschlichem Leid, mit Flucht und Vertreibung einhergehen.“ - ebenfalls nachzulesen bei Jörg Raab.

Meine geschätzten Damen und Herren,

wir denken auch an alle, die damals wie heute aufgrund kriegerischer Auseinandersetzungen ihre Heimat verloren haben. Die Zahl derer, die auch in unserem Land Schutz und Zuflucht, Frieden und Sicherheit suchen, führen uns die die furchtbaren Folgen von Flucht und Vertreibung unserer Zeit vor Augen. Ich danke allen Mitbürgerinnen und Mitbürger, die sich vorbildlich für die bei uns Schutzsuchenden einsetzen und ihnen mit ihrem Engagement Hoffnung vermitteln und Perspektiven aufzeigen und auf diese Weise zugleich das positive Bild unserer Stadt mit bestimmen und das gute Miteinander vor Ort aktiv mitgestalten, das sich in dem großen ehrenamtlichen Einsatz so vieler in unserer Stadt widerspiegelt.

Auch sie widerlegen das Bild, das verblendete Irrläufer abgeben, indem Sie gegen Flüchtlinge und Menschen ausländischer Herkunft hetzen und das Recht auf freie Meinungsäußerung und Demonstrationsfreiheut auf das Schändlichste für die niederträchtige Verbreitung ihres menschenverachtenden Gedankenguts missbrauchen, Menschen attackieren und Unterkünfte angreifen. Viele Organisationen sowie unzählige Menschen bieten weltweit anderen Menschen Perspektiven und Schutz - Schutz, den die Opfer der beiden Weltkriege nicht fanden. An sie erinnern überall auf der Welt Kriegsgräber, Ehrenmale sowie Ausstellungen, Gedenkstätten und Museen.

Am 11. November 1918 und damit vor nahezu genau 99 Jahren endete der Erste Weltkrieg mit seinen rund 17 Millionen Opfern, andere Zahlen gehen von an die 20 Millionen aus. Am 10. November diesen Jahres setzten Emmanuel Macron und Frank-Walter Steinmeier ein neues Zeichen der Versöhnung und Aussöhnung zwischen unseren beiden Ländern: Gemeinsam weihten sie am 957 Meter hohen Hartmannswillerkopf das erste deutsch-französische Museum zum Ersten Weltkrieg ein.

An und um die namensgleiche Bergkuppe in den südlichen Vogesen, nur rund 100 km entfernt von unserer Partnerstadt Thaon-les-Vosges, und 364 km entfernt von uns kämpften in den Jahren 1914 bis 1916 deutsche und französische Soldaten in blutigen Schlachten um den Sieg. An die 30.000 Männer fanden dort ihren Tod, weswegen dieser Ort des Schreckens auch „Berg des Todes“, „Menschenfresser-Kopf“ oder „Menschenfresser-Berg“ genannt wird.

Sehr geehrten Damen und Herren,

der Volkstrauertag ist immer auch ein Tag der Dankbarkeit dafür, dass wir seit nunmehr 72 Jahren in Frieden, Freiheit und Sicherheit, in Demokratie und Wohlstand leben dürfen, dafür, dass der Eiserne Vorhang und die erzwungene Trennung in Europa der Vergangenheit angehört sowie unser Land wiedervereinigt wurde. Wir dürfen und müssen dankbar sein auch für das Erfolgsmodell Europäische Union, für das es trotz seiner Schwächen kein besseres Modell für ein friedliches Zusammenlebens gibt. Ein hervorragendes Beispiel für ein friedliches, und erfolgreiches Europa bot die Begegnung aus Anlass der 45-jährigen Freundschaft zwischen unserer österreichischen Partnergemeinde Pfaffstätten und uns. Daran zeigt sich zugleich wie wichtig Städtepartnerschaften sind und bleiben, um auf der kommunalen Ebene und damit auf der wichtigsten Ebene des Zusammenlebens Freundschaften in Europa zu schaffen, sie zu pflegen und auch auf diese Weise den Frieden in Europa dauerhaft sicherzustellen.

Denn Frieden ist und bleibt nun einmal keine Selbstverständlichkeit. Das gilt gleichermaßen für Freiheit und Sicherheit sowie den Fortbestand unserer demokratischen und rechtsstaatlichen Werte. Diesbezüglich danke ich ausdrücklich allen Soldatinnen und Soldaten und Zivilbeschäftigten unserer Bundeswehr sowie allen Polizeibeamten, die sich für uns im Auslandseinsatz befinden, um Frieden zu schaffen und Frieden zu wahren. Mögen Sie alle stets wohlbehalten wieder nach Hause zu ihren Familien zurückkehren und ihnen immer wieder - gerade auch bei uns - mit Respekt und Anerkennung für ihren für uns alle unverzichtbaren Dienst begegnet werden.

„Seit 2002 sind“ allein in Afghanistan „56 deutsche Soldaten gefallen, über 200 wurden verwundet. Insgesamt ließen dort 90.000 Menschen ihr Leben.“ - so nachzulesen bei Jörg Raab. Insgesamt starben seit 1955 3.200 Soldaten und Zivilbeschäftigte der Bundeswehr bei der Ausübung ihrer Dienstpflichten. 2009 wurde das Ehrenmal der Bundeswehr in Berlin eingeweiht, als Ort um ihrer zu gedenken.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

unser Gedenken fordert uns auf, Frieden zu halten, und die für uns unverzichtbaren Werte zu verteidigen sowie uns immer wieder neu für Frieden einzusetzen so wie wir es alljährlich mit unserem Gedenken praktizieren. Dazu gehört auch wie wir vor Ort miteinander und untereinander umgehen. Und dazu gehört auch, Meinungsverschiedenheiten und Konflikte nicht mit Gewalt auszutragen und falls erforderlich, sich gegenseitig Hilfe zu leisten und Solidarität zu üben.

Solidarität üben wir auch über unser individuelles Gedenken, was wiederum ebenfalls Teil ist aktiver Friedensarbeit. Unser individuelles Gedenken möge einmünden in das traditionelle Totengedenken, das ich nun gemeinsam mit Ihnen halten und für uns alle sprechen darf.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

mit dem Kranz, den wir heute stellvertretend für die Bürgerschaft unserer Stadt niederlegen, verleihen wir unserem Gedenken sowie unserer Mahnung und Aufforderung an uns und folgende Generationen, Frieden zu halten, auch nach außen ein sichtbares Zeichen. Wir setzen ein Zeichen für den Frieden, gegen Terror und Gewalt sowie gegen Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, und gegen jegliche Form von Extremismus, aber auch gegen Verfolgung und Vertreibung, für ein Leben in Frieden und Freiheit, in Demokratie und Sicherheit sowie für Toleranz, für Achtung der Menschenwürde, für Respekt und Weltoffenheit, so wie wir sie auch in unserer Stadt leben.

Zum Ende unserer Feierstunde danke ich Ihnen allen für Ihr Kommen und die würdige Mitgestaltung dieser Feierstunde. Ich wünsche Ihnen einen guten Nachhauseweg, einen angenehmen Sonntag und uns sowie allen nachfolgenden Generationen eine vor allem gesunde und stets friedvolle Zeit. In diesem Sinne beschließe ich auch unser diesjähriges Gedenken mit der an uns alle gerichteten Aufforderung von Bundepräsident Theodor Heuss:
„Sorgt ihr, die ihr
noch im Leben steht,
dass Frieden bleibe,
Frieden zwischen den Menschen,
Friede zwischen den Völkern.“

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Kontakt

Stephan Noll
Erster Bürgermeister
Hanauer Straße 1
63755 Alzenau

Telefon06023 502-101
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